Es scheint hier um einen uralten Konflikt zu gehen: „MEINE Interessen gegen die der ANDEREN“ oder „ICH gegen die ANDEREN“.
Schon in der Urzeit gab es diesen Konflikt im Sinne von „ICH und meine SIPPE / CLAN / FAMILIE“ gegen alle ANDEREN / FREMDEN = GegnerInnen“. Wichtig war, das EIGENE zu schützen. Ist ja auch verständlich.
Daraus resultierten schließlich Machtmechanismen, die Druck, Manipulation und Bestrafung mit einschlossen. Gleichzeitig ging und geht man davon aus, dass die eigene Meinung die richtige ist und die anderen sich tunlichst dieser Meinung beugen sollten.
Nach der „Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn-Zeit“ brach dann durch das Christentum ein neues Bewusstsein durch, der Altruismus. Plötzlich entstand das Gedankengut, dass ANDERE auch Lebewesen sind, die das Bedürfnis nach Wohlergehen haben. Diese „Nächstenliebe“ führte auf der anderen Seite jedoch auch zum Gefühl der eigenen Minderwertigkeit im Sinne von „der/die andere/r ist besser und wichtiger als ich“... was schließlich in der Kompensation wieder zu Machtspielen und übersteigertem Egoismus führt ...
Nun, die Menschheit entwickelt sich – es ist nur schwer zu sehen, da unser individuelles Menschenleben verglichen mit der Menschheitsgeschichte sehr kurz ist.
„Die Welt ist ein Dorf“ sagt man und genauso ist es. Was im Kleinen abläuft, das spielt sich auch weltweit ab.
Im Kolonialismus eroberte, bekehrte und „entwickelte“ man (großzügigerweise ;-) ) „unterentwickelte“ Länder, rottete ganze Kulturen aus („sind ja eh mehr Tiere als Menschen ...“) und machte sich die Schätze des Landes zu eigen. Ausbeutung, Versklavung und Machtdemonstration waren im damaligen Verständnis „berechtigt“.
Darüber sind wir ja nun wohl hinweg, oder?
Jetzt gibt es eine andere Form – einen modernen Kolonialismus, bei dem wir uns nicht mal mehr die Hände schmutzig machen müssen und bequem die Unschuldigen spielen können. Wir brauchen dafür nicht mal mehr unser Wohnzimmer verlassen. Wie?
Wir kaufen (großzügig, oder?) billig Waren aus den „armen, entwicklungsbedürftigen“ Ländern ein. Die sind doch dort eh froh, wenn sie überhaupt etwas verdienen, oder?
Die Folgen in diesen Ländern sind Landflucht, Zustrom zu den Städten, unzureichende Wohnmöglichkeiten, Druck und Ausbeutung der ArbeitnehmerInnen, mangelnde soziale Absicherung, fehlende arbeitsrechtliche Mittel. Kündigung im Falle einer Schwangerschaft, kein Recht auf freie Tage, 16 Stunden Arbeitszeit sind keine Seltenheit, obwohl es offiziell natürlich anders ausschaut. Die soziale Ungleichheit und Untragbarkeit führt nicht selten zu Unruhen und politischen Repressalien.
Tatsache ist: So beuten wir Länder aus, die einen weniger hohen Lebensstandard haben als wir, und mit unserer vermeintlichen Großzügigkeit und mit derartiger „Entwicklungshilfe“ zeigen wir nur unsere Überlegenheit, anstatt wirkliche Kooperation und Wertschätzung anzubieten.
Nun, wir kapieren es noch immer nicht. Ist halt auch einfacher 20 T-Shirts topmodern von Billigketten zu kaufen als eine überschaubare Anzahl hochwertiger Kleidungsstücke aus nachhaltiger Produktion, die mehr kosten. Beim Essen ist es nicht anders. Ich höre immer wieder: „Ich kann mir das nicht leisten.“ Gleichzeitig geht der Kasten über, der Bauch ist dick und die elektrotechnische Ausstattung des Hauses und Autos spielt alle Stückerln. Ist eben eine Frage der individuellen Prioritäten und damit auch in Ordnung.
Die Welt ist ein Dorf und, wie wir gesehen haben, machen Menschen, deren Situation nicht mehr tragbar ist, auch vor Grenzen nicht halt. Nun haben wir die Flüchtlingsströme irgendwie eingedämmt oder irgendwo abgelagert. Ist kein Thema mehr, über das man sprechen müsste, oder??? Gut, dass „DIE da“ jetzt irgendwo verstaut sind, würden uns ja eh nur die Arbeitsplätze wegnehmen, sind ungebildet, womöglich unhygienisch und sollen sich tunlichst von unserem Hab und Gut fernhalten.
Nächster Step: Corona. Corona lässt sich nicht von Mauern abhalten oder in Auffanglager sperren. Corona kann nicht von einzelnen Ländern eingedämmt werden. Nur GEMEINSAM haben wir irgendeine Chance. Und auch da zeigt sich die uralte Überlebensstrategie, die in jedem/r von uns steckt: ICH, MEINE Meinung, MEIN Überleben. Die ANDEREN liegen falsch, sind asozial, und wir sollten uns zusammenrotten um sie zur Vernunft zu bringen = soweit Druck auszuüben, dass sie sich „freiwillig“ beugen.
Entwicklungsgeschichtlich ist das alles sehr spannend. Und wir sehen, dass die Herausforderungen und Lernaufgaben der Menschheit sowohl im zeitlichen Auftreten als auch in der Größendimension fast exponentiell ansteigen.
Denn wenn wir Corona im Griff haben und nicht gleich das nächste Virus vor der Tür steht, rollt ein überdimensionaler Wahnsinn auf uns zu, der Klimawandel. Und wir werden ihm GEMEINSAM ausgeliefert sein. Wir wissen es alle und fühlen uns hilflos angesichts dieser großen Dimension. Was könnte ICH als EINZELNE/R schon tun? Angesichts der Aussichtslosigkeit dem Abhilfe zu schaffen, resignieren wir und machen eben die Augen zu. Oder wir suchen die „Schuldigen“, die endlich etwas dagegen tun sollen!
Was gibt es für eine Lösung???????
Ich ODER die anderen. Mein Vorteil ODER der der anderen. Mein Wohlergehen ODER das der anderen.
Da sind wir noch nicht so viel weiter als in der Steinzeit.
Und gerade Corona zeigt uns, dass es so nicht geht. Dass wir das GANZE sehen müssen, dass wir mit der Polarisierung aufhören müssen.